„Tag des Hörens“: Hörgeräte bringen Geräusche zurück

Viele Schwerhörige verzichten auf ein Hörgerät. Doch das ist ein Fehler: Das Gehirn verlernt das Einordnen von Geräuschen rasch. Hilfe bieten Hörgeräte-Akustiker. Sie kämpfen gegen die Unterversorgung in Deutschland – und gegen die Preise der Konkurrenten.

Die Geräusche des Alltags verschwinden langsam und unbemerkt. Erst die hohen Frequenzen, das Zirpen der Grillen. Dann das Zwitschern der Vögel. Die meisten bemerken ihre zunehmende Schwerhörigkeit jedoch erst, wenn sie Angehörige oder Kollegen nicht mehr so gut verstehen.

Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland sind Schätzungen zufolge schwerhörig, aber nur etwa 16 Prozent davon tragen ein Hörgerät. Der Anteil ist seit Jahren konstant, obwohl Hörgeräte-Akustiker im vergangenen Jahr einen regelrechten Ansturm erlebten. Dennoch sind die oft inhabergeführten Läden unter Druck – und die Branche massiv im Wandel.

Nach Jahrzehnten mit einem guten Auskommen müssen sich die Hör-Spezialisten zunehmend mit betriebswissenschaftlichen Fragen befassen. Die ersten Läden haben bereits aufgegeben. „Das liegt in erster Linie am Preisdruck, den die Filialisten auslösen“, schildert der in Regensburg ansässige Vize-Präsident des Fachverbands Deutscher Hörgeräte-Akustiker, Thomas Wittmann. „Da wird mittlerweile mit harten Bandagen gefochten.“

Etwa zwei Drittel der rund 5000 Fachgeschäfte in Deutschland sind inhabergeprägt, der Rest gehört zu Ketten wie Geers, Kind und Amplifon, die seit wenigen Jahren verstärkt expandieren. „Da findet ein Machtkampf um die Vorherrschaft statt“, schildert Wittmann. Die Anzahl der Betriebe legte entsprechend deutlich zu, während der Umsatz der Branche im Großen und Ganzen auf ähnlichem Niveau blieb.

Mit zwei Ausnahmen: 2013 gab es eine kleine Delle – und 2014 einen starken Anstieg. Erklären lässt sich dies mit einem Gerichtsurteil des Bundessozialgerichts, welches festgestellt hatte, dass die gesetzlichen Krankenkassen beim Kauf eines Hörgerätes zu wenig Geld zuschießen. Nach zähem Ringen wurde der Satz Ende 2013 angehoben.

Viele Betroffene hatten eine Anschaffung bis zu dieser Einigung aufgeschoben. Die Branche verzeichnete dadurch 2014 ein Umsatzplus von 34 Prozent auf rund 1,3 Milliarden Euro, wie das Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK ermittelte. Die im Fachhandel verkaufte Stückzahl stieg von 836 000 auf rund 1,2 Millionen.

Und dennoch spricht Jan Löhler vom Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte von einer „gravierenden Unterversorgung“. Zwar gebe es keine aktuelle Studie mit exakten Zahlen. Doch Schätzungen zufolge haben zwischen 20 und knapp 30 Prozent der Erwachsenen ein eingeschränktes Hörvermögen. Bei den über 65-Jährigen konstatieren Ärzte bei mehr als 40 Prozent eine relevante Schwerhörigkeit.

„Für die Schwerhörigen wird viel zu wenig gemacht“, moniert Löhler. „Es gibt keinen strukturierten Plan für die Früherkennung und Betreuung der Patienten.“ Dabei entstehen durch die Folgen der Schwerhörigkeit – etwa durch den Verlust der kognitiven Leistung, durch Stürze, Depressionen und Berufsunfähigkeit – volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, wie eine Studie ergab.

Fachleute raten daher unisono, schlechtes Hören nicht einfach zu ignorieren. Denn je später ein Betroffener ein Hörgerät bekommt, umso schwerer fällt die Umstellung. Das Gehirn verlernt nämlich rasch, mit akustischen Eindrücken umzugehen. „Je länger ich vergessen habe, wie ein Vogel klingt, desto unangenehmer wird mir das Geräusch, wenn es wieder da ist“, schildert Hörgeräte-Akustikerin Elena Anton von Peschke Akustik in Nürnberg.

Erster Schritt ist ein etwa 15 Minuten in Anspruch nehmender, meist kostenloser Hörtest, für den die Akustiker auch am „ Tag des Hörens“ am 13. Mai werben werden. Der Test ist – ebenso wie ein Hörgerät – beileibe nicht nur etwas für ältere Menschen: Auch ein beträchtlicher Anteil Jüngerer hört schlecht. Das ist dann allerdings weniger dem natürlichen Alterungsprozess als zu lautem Musikgenuss und anderem Lärm geschuldet – der Schall zerstört die feinen Haarsinneszellen in der Hörschnecke unwiderruflich.

Doch vielen Menschen ist es unangenehm, Hilfe zu suchen, berichtet Anton. „Das Hörgerät wird mit dem Alter verbunden, es gilt als „Ersatzteil““. Doch das werde sich ändern, betont Wittmann. „Ich bin überzeugt, dass in einigen Jahren auch Nicht-Schwerhörige Hörgeräte tragen werden.“ Telefongespräche, TV-Sendungen, Konzerte können schon jetzt direkt in das Gerät und damit ins Ohr übertragen werden. Störende Geräusche werden weggefiltert, so dass die Träger teils besser hören als Normalhörende. Und die Forscher tüfteln schon an weiteren Funktionen – etwa der Simultanübersetzung von Fremdsprachen.

Quelle: www.focus.de

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